»Es ist nicht nur die Geschichte. Entscheidend ist vielmehr, wie sie erzählt wird. Essentiell ist es, zu verführen.« David Moretti verführt seine Leser – indem er sie provoziert. Mit Farben, mit Typografie, mit einem gestalterischen Störfeuer direkt in die Komfortzone der entspannten Sofa-Lektüre. Mit Bildsequenzen, die von einem ins Cover der italienischen Ausgabe des WIRED Magazins integrierten, blätterbaren Buch eröffnet werden – und sich innerhalb der Zeitschrift fortsetzen. Mit unterschiedlichen Comic-Covern, die über mehrere Ausgaben eine visuelle Fortsetzung und Gleichartigkeit suggerieren. Mit Features über Persönlichkeiten, die über typografisch ungewöhnlich gestaltete, bildreiche Layouts nicht nur die Aufmerksamkeit der WIRED-Leser erregen, sondern ihn durch ihre Unruhe, ihre visuellen Kontrapunkte der Gestaltung provozieren.

Auf spannende Weise vom Sofa aufgeschreckt, begibt sich der Leser auf eine Entdeckungsreise, buchstäblich eintauchend in Geschichten - und die Persönlichkeit der Menschen, denen er beim Lesen begegnet. WIRED Italy ist ein faszinierendes Gesamtkunstwerk unterschiedlicher Gestaltungsschichten; ihre opulente Inszenierung bildet den Rahmen für spannende Erzählungen. Sinnlich, erotisch, plastisch, mit überraschenden Details: Ins Magazin eingebunden finden sich Elemente aus der arabischen Kalligraphie, aus Buchmalerei und Illustration. Text wird zu Bildern, Sprache und Information zur optischen Abstraktion über die Geschichte hinaus – und führt den Leser über den gedanklichen Ausflug in die Parallelwelt aus Farben und Formen doch gleichzeitig wieder zur eigentlichen Erzählung zurück.

Storytelling in einer Verbindung aus Fotografie, Text, Abstraktion und Spielfreude: Moretti baut gleichsam Stolperfallen für seine Kunden ins Magazin. Gegen den gleichmäßigen Fluss des Lesens, gegen allen Rhythmus und Gleichförmigkeit, die sich mitunter einschleichen. Was auf den ersten Blick flirrend und mitunter verstörend bunt erscheint, entwickelt bei näherer Betrachtung ein faszinierendes Eigenleben, das auf sperrige Weise zur Aufmerksamkeit zwingt, zur Konzentration auf Zwischentöne, auf Assoziationen und die eigentlichen Informationen der Lektüre. Ein komplexes Gestaltungswerk, das mit seiner gelegentlichen Atemlosigkeit ansteckt: Beim Blättern hält man lesend inne und reibt sich die Augen. Altbekanntes auf diese Weise neu zu entdecken, beim Lesen neue Zusammenhänge zu finden, Gesehenes als Ungesehen wieder zu finden, das ist ein bisschen wie mit den Augen eines Kindes durch die Welt zu gehen.

Die Wiederentdeckung des Staunens ist Morettis Konzept, ob in Infografik oder Porträt.; sein konsequenter Umweg über die gezielte Provokation aus Unruhe, gezieltem Stören ist dabei umso verführerischer: »Umwege erhöhen die Ortskenntnis«, heißt es. Was im Printprodukt hervorragend klappt, setzt David Moretti in verschiedenen Kanälen um: Infografiken, Bilder und Texte, werden in der App-Ausgabe der WIRED zu einem faszinierenden Gesamtkunstwerk. In Bewegung und Klängen, mit Information verknüpft, werden Funktionsweisen von Maschinen erklärt– und sind zugleich eine augenzwinkernde Aufforderung an den Spiel- und Entdeckertrieb des Nutzers. Statt allgegenwärtiger »Multi-Channel-Veröffentlichung« und Technikverliebtheit in der Umsetzung werden interessante Geschichten zu dem, was sie wirklich können: zu einem fesselnden Erlebnis des Lesers, das alle seine Sinne anspricht.

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