Herlinde Koelbl – Targets



»Spuren der Macht«, »Schlafzimmer«, »Feine Leute« gehören zu den bekanntesten Langzeitprojekten der Fotografin Herlinde Koelbl. Auf der qved2015 stellt sie »Targets« vor: Eine verstörende Arbeit, in über sechsjähriger Arbeit und fast 30 Ländern entstanden, setzt sich Herlinde Koelbl mit den Zielen auseinander, an denen Soldaten das Schießen auf Menschen trainieren.

Themen zu beleuchten, alle Aspekte auszuleuchten und zu betrachten, das ist für Herlinde Koelbl essenziell. Bewusst entschied sich die Fotografin für einen sehr strengen, sachlichen und reduzierten Stil ihrer Bilder für »Targets«: Sie will bewusst keine Pro- oder Contra-Position beziehen, verweigert sich konsequent über die Strenge ihres Blicks der zu großen emotionalen Nähe. Die Objekte, mit Hilfe derer Menschen das Töten von Menschen trainieren, abgebildet in sparsamen Bildern, erzählen eine beklemmende Geschichte. »You have to kill automatically in order to function« zitiert Herlinde Koelbel einen Soldaten, mit dem sie während ihrer Arbeit in der geschlossenen Welt des Militärs sprach. 



Zu Beginn ihres Projektes dachte die Fotografin nicht darüber nach, auch Menschen im militärischen Training zu porträtieren; erst der Einblick in Simulationssysteme, die mit Abbildern von realen Menschen funktionierten, intensive Gespräche mit Soldaten über deren gezielte Desensibilisierung zum Töten veränderte Herlinde Koelbls Annäherung an »Targets«. Nicht nur Dörfern und Städten, die speziell für militärische Übungszwecke gebaut werden und detailgetreu bis in den letzten Winkel Lebenswelten simulieren, gilt ihr fotografischer Blick – sondern ebenso den Menschen, für deren Training des Tötens Feindbilder in diese künstlich geschaffenen Lebenswelten projiziert werden. 



Bei ihren vielen Besuchen in zahlreichen Ländern besuchte Herlinde Koelbl nicht nur »offizielle« Armeen, sondern auch Polisario oder die PKK, die je nach Blickwinkel als Freiheitskämpfer oder Terroristen gesehen werden. Viele derer, die sie traf, waren beides: Terroristen – und Friedenspreisträger. Wofür werden Menschen eingesetzt und instrumentalisiert? Gibt es eine Zeit ohne Kriege? Die Fotografin verneint diese Frage: »Solange es Menschen gibt, wird es Kriege geben. Immer. Es ist wichtig, hinzusehen: Für welche Interessen werden Kriege geführt?« Ihre sechsjährige Arbeit an »Targets« beschreibt Herlinde Koelbl als intensive Zeit, die sie noch immer nicht loslässt, nicht einfach wegstecken kann. »Man kann ein solches Thema nicht im Vorübergehen machen.«



Die Serie »Targets« beginnt mit einer zerschossenen Schießscheibe, fotografiert vor über 30 Jahren. Das nie veröffentlichte Bild blieb in den Gedanken der Fotografin als Grundstein für ihre spätere Langzeitarbeit, die sowohl eine Rückblende in die Kolonialgeschichte einzelner Länder als auch ein düsterer Spiegel aktueller Kriege ist: Die Vielfalt unterschiedlichster Feindbilder, auf Zielscheiben gemalt, ist beklemmend. Den imaginären Feinden (teils uniformiert, mit Djellabah oder Burnus abgebildet) sind Porträts von Soldaten gegenübergestellt: Teils sehr junge, verletzliche Gesichter, mit Tarnfarben verschmiert, manchmal auch Gesichter mit tiefen Linien. Spuren von Gewalt, Anspannung, von Gewaltphantasien und tatsächlichem Kriegsgeschehen jenseits des Trainings?


Manche von Herlinde Koelbls bedrückenden Fotografien sind mittlerweile von der Realität eingeholt, ja sogar überholt worden: Längst sind einige der gestellten, mitunter drastischen Trainingssituationen wie Geiselnahmen oder Erschießungen so geschehen wie sie inszeniert wurden. Auf fürchterliche Weise sind imaginären Situationen und ihre Feindbilder zu Realität geworden. Im Lauf nur weniger Jahre wurden die realen Kämpfe dann selbst zu Geschichte. Viele der Bilder der Serie »Targets«, beispielsweise aus der Ukraine, wären heute so nicht einmal mehr möglich. 


Herlinde Koelbls Langzeitprojekt »Targets« ist eine düstere, berührende Beschreibung der obszönen Monströsität von Krieg: Begonnen als abstrakte Idee, fortgesetzt als Projektion von Bildern in eigens geschaffenem Trainingsumfeld, bis hin zum tatsächlichen Krieg. Und beendet mit der Vision einer gespenstischen Welt, in der bis auf die zerschossene Zielscheiben und -figuren, Waffen, Panzer, Grabsteine und stille Leere nichts mehr existiert. Nicht einmal mehr die Menschen, die für all das verantwortlich waren.  



Herlinde Koelbl im Netz



Das Buch »Targets« ist 2014 im Prestel Verlag erschienen.